
Übergang zur Schule aus inklusiver Perspektive: Eine sensible Aufgabe für Sie

Setzt man sich mit inklusiver Bildung in Kindertageseinrichtungen auseinander, darf hierbei nicht außer Acht gelassen werden, dass dem Elementarbereich auch eine schulvorbereitende Funktion zukommt. Ist das Ziel von Inklusion, kontinuierliche Bildungsentwicklungsverläufe zu gewährleisten, in denen Selektion und Separation in Fördereinrichtungen abgebaut und letztlich ganz vermieden werden sollen, muss gerade dem Übergang in das Schulsystem besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden (vgl. Lichtblau/Albers 2014; Arndt et al. 2013).
Denn trotz der in der Behindertenrechtskonvention verankerten Forderung, inklusive Bildungsbiografien sicherzustellen, werden im Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Schule Grenzen offensichtlich, die sich in den „Inklusionsquoten“ der unterschiedlichen Institutionen widerspiegeln. So besuchten dem Bildungsbericht 2016 zufolge in Deutschland im Frühjahr 2015 76 % aller Kinder zwischen 3 und 6 Jahren mit Förderbedarf eine allgemeine Kindertageseinrichtung und lediglich 44 % eine allgemeine Grundschule. Zudem werden, wie bereits angemerkt, 3,2 % aller Kinder auch nach nunmehr fast 10 Jahren seit Einführung von Inklusion weiterhin direkt in eine Förderschule eingeschult (vgl. ebd.).
Insbesondere bei Kindern mit nichtdeutscher Herkunftssprache resultiert die Diskrepanz zwischen den Anforderungen der unterschiedlichen Institutionen in der Rückstellung vom Schulbesuch. Zudem haben Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und sozialer Benachteiligung ein signifikant höheres Risiko, sonderpädagogischen Fördermaßnahmen zugewiesen zu werden (Avci-Werning et al. 2006; Löser/Werning 2011). Der Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Schule stellt somit unter inklusiver Perspektive eine besonders sensible und von Selektionsrisiken gekennzeichnete Phase in der frühen Bildungsentwicklung von Kindern dar. Zudem ist mit diesem Wechsel auch der Eintritt in ein neues Unterstützungssystem gekennzeichnet und „Eingliederungshilfe“ wird durch die ebenfalls diagnoseabhängige Zuweisung „sonderpädagogischer Förderung“ abgelöst. Im Zuge dieses Systemwechsels werden dann auch eine Vielzahl von Kindern in Anbetracht veränderter Lernumweltbedingungen in Schule erstmals auffällig und speziell Kinder mit einem Förderbedarf im Bereich „Lernen“ (ca. 40 % aller diagnostizierten Förderbedarfe in Schule) sind in diesem Kontext betroffen (vgl. Bildungsbericht 2016).
Unter inklusiver Perspektive muss es daher das Ziel sein, die Anschlussfähigkeit dieser beiden Bildungsbereiche zu erhöhen (Lichtblau/Thoms/Werning 2013; Lichtblau/Werning 2012). Von großer Bedeutung ist dabei die erfolgreiche Kooperation zwischen den Systemen Familie, Kindertageseinrichtung und Schule, mit der Absicht, anschlussfähige Lernbedingungen und eine geteilte pädagogische Förderpraxis zu entwickeln, die an den individuellen Stärken und Bedürfnissen des Kindes ansetzt und Unterstützung nicht von einer defizitorientierten Diagnostik von Behinderung abhängig macht (Lichtblau 2014; Rothe 2013). Mit dieser Forderung nach einer Annäherung beider Bildungsbereiche auf pädagogisch konzeptioneller Ebene folgt man keiner „Kontinuitätsdoktrin“ (Dollase 2000) und Diskontinuität infolge unterschiedlicher Lernsettings in Kindertageseinrichtung und Schule wird nicht als etwas grundsätzlich Schlechtes gekennzeichnet, das es zu vermeiden gilt (vgl. Arndt et al. 2015). Denn entwicklungslogisch betrachtet haben die Anpassung an neue Lernumwelten und die dafür notwendige Identitätsentwicklung sowie die Erweiterung individueller Kompetenzen positive Konsequenzen für die kindliche Entwicklung (Fabian 2007; Filipp 2007). Die Transition von der Kindertageseinrichtung in die Schule ist in der aktuellen strukturellen Gestaltung in Deutschland jedoch in einem Maße von Diskontinuität bestimmt, sodass es unter inklusiver Perspektive notwendig ist, die Anschlussfähigkeit der Mikrosysteme Kindertageseinrichtung und Schule sowie die Einbindung der Familie in kooperativ gestaltete Bildungsprozesse zu erhöhen, um kontinuierliche Lernentwicklungsprozesse im Übergang zu fördern und allen Kindern gemeinsam einen erfolgreichen Start in die schulische Laufbahn zu ermöglichen (Knauf/Schubert 2005). Unter dieser Perspektive sind diejenigen länderspezifischen Übergangskonzepte vorbildlich (z.B. Brandenburg, Berlin), die grundsätzlich auf eine Rückstellung von der Schule verzichten und im Rahmen einer flexiblen Eingangsphase individuellen Lernentwicklungsverläufen Raum geben (vgl. Albers/Lichtblau 2014).
Literatur
Albers, T./Lichtblau, M. (2014): Inklusion und Übergang von der Kita in die Grundschule: Kompetenzen pädagogischer Fachkräfte – Eine Expertise der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF), WiFF-Expertisen, Band 41. München: Deutsches Jugendinstitut.
Arndt, A.-K./Rothe, A./Urban, M./Werning, R. (2015): Im Spannungsverhältnis von Kontinuität und Diskontinuität – Perspektiven von ErzieherInnen und Lehrkräften in der Transititon. In: Urban, M./Schulz, M./Meser, K./Thoms, S. (Hrsg.): Inklusion und Übergang. Perspektiven der Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen. Bad Heilbrunn. S. 120-134.
Arndt, A.-K./Rothe, A./Urban, M./Werning, R. (2013): Die sukzessive Konstruktion von Schul(un)fähigkeit im Übergang vom Elementar- in den Primarbereich – Perspektiven von Eltern sowie Erzieherinnen und Erziehern. In: Sonderpädagogische Förderung heute, 58,1, S. 70-84.
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2016): Bildung in Deutschland 2016 – Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration. 1. Aufl. Bielefeld: Bertelsmann.
Avci-Werning, M. et al. (2006): Supporting Language Development for Pluri-/Multilingual Cildren at School Entry. In: Hancock, A. et al. (Hrsg.): Building on Language Diversity with Young Children – Teacher Education for the Support of Second Language Acquisitation. Berlin. S. 127-166.
Dollase, R. (2000): Reif für die Schule? In: Kinderzeit, 2, S. 5-8.
Fabian, H. (2007): Informingtransition. In: Dunlop, A.-W./Fabian, H. (Hrsg.): Informing transition in the early years – Research, policy and practice. Berkshire. S. 3-17.
Filipp, S.-H. (2007): Kritische Lebensereignisse. In: Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, S. 337–366.
Knauf, T./Schubert, E. (2005): Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule – Grundlagen, Lösungsansätze und Strategien für eine systemische Neustrukturierung des Schulanfangs. In: Textor, M. (Hrsg.): Kindergartenpädagogik – Online-Handbuch. URL: www.kindergartenpaedagogik.de/1321.html
Lichtblau, M./Werning, R. (2012): Interessenentwicklung von Kindern aus soziokulturell benachteiligten Familien im Übergang vom Kindergarten zur Schule. In: Fröhlich-Gildhoff, K. (Hrsg.): Forschung in der Frühpädagogik. Materialien zur Frühpädagogik, Band 10. Freiburg, i. Br: FEL Verl. Forschung Entwicklung Lehre. S. 211-244.
Lichtblau, M./Thoms, S./Werning, R. (2013): Kooperation zwischen Kindergarten und Schule zur Förderung der kindlichen Interessenentwicklung. In: Werning, R./Arndt, A.-K. (Hrsg.): Inklusion – Kooperation und Unterricht entwickeln. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 200-220.
Lichtblau, M. (2014): Familiäre Unterstützung der kindlichen Interessenentwicklung in der Transition vom Kindergarten zur Schule. In: Frühe Bildung 3, 2, S. 93-103.
Löser, J.M./Werning, R. (2011): Equity for Immigrant Students in German Schools? In: Artiles, A. J./Kozleski, E. B./Waitoller, F. R. (Hrsg.): Inclusive Education. Examininig Equity on Five Continents. Cambridge, Massachusetts: Harvard Education Press. S. 89-100.
Rothe, A. (2013): Professionelle Herausforderungen im Umgang mit Heterogenität am Schulanfang. In: Werning, R./Arndt, A.-K. (Hrsg.): Inklusion – Kooperation und Unterricht entwickeln. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 221-244.
Ergänzenden Arbeitshilfen
Konzeptionsentwicklung: Reflexionsfragen zu Inklusion
Inklusion ist ein wichtiger gesellschaftlicher Auftrag von Kindertageseinrichtungen. Die Grundzüge des Inklusionskonzeptes werden auch in der Kita-Konzeption dargestellt. Die Reflexionsfragen helfen bei der Formulierung dieses Teils der Konzeption.
Zuständigkeit bei Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe (SGB IX)
Die Tabelle zeigt, dass je nach Ursache der Beeinträchtigung (z.B. Krankheit, Unfall, Gewalttat), Versicherungsstatus des Kindes bzw. seiner Eltern und Art seines Bedarfs unterschiedliche Rehabilitationsträger für die Leistungen zuständig sein können.
Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe
Welche Leistungen im Bereich der Rehabilitation und Teilhabe nach SGB IX möglich sind, zeigt diese Aufstellung überblicksartig. Nutzen Sie sie für eine erste Orientierung.