Abschnitt: Theorien und Handlungskonzepte der frühen Bildung → Ko-Konstruktive Bildung
 

So fördern Sie die Selbstbildung bei Kindern

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© Brian Jackson / Adobe Stock

Bei jedem Bildungsvorgang ist das kleine Kind aktiv. Es bildet sich selbst und kann nicht durch andere gebildet werden. Bildung ist somit immer Selbstbildung. Eine grundlegende Voraussetzung für diesen ko-konstruktiven Selbstbildungsprozess ist, dass sich das Kind in der Gruppe sicher und geborgen fühlt. Seine Selbstbildung steht in einem engen Wechselverhältnis zu den Aktivitäten seiner Pädagogin oder seines Pädagogen.

Forschung konnte zeigen, dass jedes Kind von Geburt an über genetisch eingewurzelte Strukturen verfügt, die es zu einem bildenden Aneignungsprozess befähigen. Kinder sind also von Geburt an fähig, „sich die Welt in grundlegender und weitreichender Weise anzueignen, ohne dass ein Erwachsener sie belehren müsste“ (Laewen und Andres, 2002).

Kinder werden heute als kleine Forscher wahrgenommen, die neugierig ihre Umgebung erkunden, selbsttätig Erfahrungen sammeln, neue Kompetenzen entwickeln und sich ihr Wissen und Können selbst aneignen. Bei ihren Erkundungen sind sie hoch motiviert, konzentriert und kreativ, wirken oft wie selbstvergessen und reagieren häufig mit spontaner Freude, wenn sie etwas Neues entdeckt haben. Diese selbsttätige Aneignung der Welt ist Selbstbildung. Das Kind lernt sich immer besser in seiner materiellen, sozialen und kulturellen Umwelt zu orientieren und sich in ihr als handelnde Person zu behaupten. Es erarbeitet sich ein Bild von der Welt, von der eigenen Person und entwickelt bei diesem Selbstfindungsprozess seine personale und soziale Identität.

Praxisbeispiele/Fallstudien

Die ko-konstruktive Bildung des Kindes erfolgt (a) durch Interaktion mit anderen Kindern (Selbstbildung in der Gruppe) oder (b) durch Interaktion mit pädagogischen Fachkräften. Voraussetzung ist, dass sich die Kinder in den Beziehungen sicher fühlen, frei von Ängsten sind und die Interaktion für die Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten nutzen können.

(a) Bei der Selbstbildung in der Gruppe lernen die Kinder mit- und voneinander. Gemeinsam erkunden sie die Umgebung, sprechen über ihre Beobachtungen, experimentieren und erproben z.B. den Gebrauch von Materialien, übernehmen Rollen, die sie phantasievoll ausgestalten, und stimmen ihr Verhalten miteinander ab. Mit einem offenen Bildungsangebot wird auch dem verschiedenen Alter und Entwicklungsniveau der Kinder entsprochen, die erheblich unterschiedliche Lernbedürfnisse, Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten haben können. Wird ihnen viel Zeit für die Selbstbildung zugestanden, dann können sie sich selbst Aktivitäten aussuchen, die sie weder über- noch unterfordern. Hier haben die Fachkräfte vor allem eine anregende oder informierende Funktion.

(b) Ko-konstruktive Bildung erfolgt ebenso in der Interaktion mit den Pädagoginnen und Pädagogen, die sich als zurückhaltende Spiel- und Bildungspartner des Kindes verstehen. Die Initiative ist beim Kind, das den Prozessverlauf bestimmt. Die Pädagoginnen und Pädagogen lassen sich auf die Bedürfnisse des Kindes ein, zeigen echtes Interesse an seinen Aktivitäten, beteiligen sich an ihnen und lassen vorsichtig eigene Ideen einfließen. Dabei ergründen sie, was es in der jeweiligen Situation alles zu entdecken gibt, und lenken dann die Aufmerksamkeit des Kindes auf bestimmte Phänomene oder Eigenschaften eines Bildungsgegenstandes. Sie helfen dem Kind, z.B. durch Nachfragen oder Paraphrasieren, seine Gedanken in klare Worte und Sätze zu fassen. Stets haben sie darauf zu achten, dass das Interesse und die Fragen der Kinder nicht gleich mit Antworten zugeschüttet werden. Das wird ihnen dann gelingen, wenn sie zu fragenden Forscherinnen und Forschern werden, sich mit Interesse und Freude auf die Gespräche einlassen und bemüht sind, die Welt mit den Augen des Kindes zu sehen, und es als gleichwertigen Interaktionspartner akzeptieren.

Eine erfolgreiche Selbstbildungsarbeit hängt somit in hohem Maße von der Professionalität der Pädagoginnen und Pädagogen ab, von ihrem Fachwissen, ihrer Beobachtungsfähigkeit und pädagogischen Kompetenz (Textor, R. M., o.J.).

Pädagoginnen und Pädagogen können die Selbstbildung der Kinder begleiten, indem sie ihnen in Projekten möglichst viele Erfahrungsbereiche eröffnen und sie selbst bestimmen lassen, welche sie nutzen wollen. Sie erwarten eine Umgebung, in der sie sich vielfältig bewegen können, Anregungen für ihre Sinne, Phantasie sowie Lust am Forschen und Gestalten bekommen.

Selbstbildung der Kinder kann nur dann erfolgreich sein, wenn

  • sich die Bildungsarbeit als eine eigenständige offene Welterkundung durch die Kinder entwickelt

  • Kinder erleben, dass die Welterkundung etwas Konkretes mit ihrem individuellen Leben zu tun hat

  • das Bildungsgeschehen sowohl in einer beziehungsnahen Interaktion mit den Erwachsenen (Pädagoginnen/Pädagogen und Eltern) geschieht als auch durch selbstaktive Vorhaben in Projekten „genährt“ wird

  • Bildungsergebnisse nicht nach Einschätzung von Erwachsenen als „richtig bzw. falsch“ klassifiziert, sondern unter dem Aspekt einer hilfreichen, durch Beziehungsnähe geprägten Persönlichkeitsentwicklung betrachtet werden

  • Bildung als ein Entwicklungsvorgang im Alltag geschieht und nicht durch künstliche, zeitbegrenzte und belehrende „Bildungsprogramme“ erzielt werden will

  • die formulierten Bildungsziele die Kinder als eigene Bildungsanforderungen verstehen

  • Kinder ihre Alltagserfahrungen mit einem subjektiven „Bedeutungssinn“ verknüpfen können

  • Kinder die gesamte Bildungsarbeit als ein „Bildungsrecht“ erleben und nicht als eine fremd gesteuerte „Bildungspflicht“ erfahren müssen

  • nicht – wie häufig in der elementarpädagogischen Praxis zu beobachten ist – aus Sachanforderungen und Problemen Beziehungsschwierigkeiten provoziert werden, die eine Ablehnung von Erwachsenen hervorruft und eine Abwehr von Bildungsanforderungen mit sich bringt

  • Bildung in Verknüpfung von Herz, Hand und Kopf erlebt werden kann (Krenz und Klein, 2013)

Literatur

Krenz, A./Klein, F. (2013): Bildung durch Bindung. Frühpädagogik: inklusiv und beziehungsorientiert (2. Aufl.). Göttingen.

Laewen, H. J./Andres, B. (2002) (Hrsg.): Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit. Bausteine zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Weinheim/Basel.

Textor, R. M. (o.J.): Kindergartenpädagogik – Online-Handbuch, In: www.kindergartenpaedagogik.de/2028.html [09.01.2009]

Ergänzende Arbeitshilfe

Übersicht: Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten

Diese Arbeitshilfe gibt Ihnen eine Übersicht der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten von 0 – 12 Jahre. Dokument herunterladen

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