
So händeln Sie Beschwerden richtig

Über die Förderung der Beteiligung der Kinder im Alltag hinaus ist es die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte, kindgerechte Beschwerdemöglichkeiten einzurichten. Da Beschwerden u.a. auf Grenzverletzungen und Übergriffe hinweisen, sind sie zugleich ein wichtiger Bestandteil des präventiven Kinderschutzes.
Im Zuge des Bundeskinderschutzgesetzes wurde der § 8b in das Sozialgesetzbuch VIII (Kinder- und Jugendhilfe) eingefügt, demzufolge u.a. die Träger von Kindertageseinrichtungen „Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher Handlungsleitlinien zu Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung sowie zu Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten“ haben. Mit dieser Formulierung wurden Beschwerdemöglichkeiten in Kitas indirekt für verbindlich erklärt und überdies eng an Verfahren der Beteiligung von Kindern gebunden.
Besonders wichtig für die Einführung von Beschwerdeverfahren in Kitas ist § 45 Absatz 2 SGB VIII, der die Erlangung der Betriebserlaubnis an die Etablierung von Beteiligungsverfahren und Beschwerdemöglichkeiten knüpft. Demzufolge ist eine Betriebserlaubnis nur dann zu erhalten, wenn zur „zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Anwendung finden“.
Jede/r in der Kindertageseinrichtung kann Beschwerden sowohl absenden als auch empfangen. Auch anwaltliche Beschwerden (Beschwerden im Namen eines anderen) sind möglich, wenn sich ein Kind z.B. darüber beschwert, dass einem anderen Kind Unrecht geschieht. Beschwerden sind nicht an eine bestimmte z.B. sprachliche Form gebunden. Gerade bei jungen Kindern können körpersprachliche – mimische und gestische – Äußerungen Unzufriedenheit im Sinne einer Beschwerde ausdrücken.
Unzufriedenheit und Beschwerden in der Kindertageseinrichtung treten vor allem im alltäglichen Zusammensein der Kinder untereinander bzw. in der Arbeit mit den Kindern auf. Sie sollten situativ erkannt, ernst genommen und angesprochen sowie in der Regel sehr zeitnah im Sinne einer fehlerfreundlichen Beschwerdekultur behandelt werden. Bei Ermöglichungsbeschwerden gehören hierzu das Aufgreifen von Ideen und Verbesserungsvorschlägen sowie die Erprobung und gegebenenfalls Umsetzung von Veränderungen. Im Falle von Verhinderungsbeschwerden geht es um die Durchsetzung und bei Bedarf Neujustierung von Grenzen und Regeln, manchmal auch um Wiedergutmachung und Entschuldigung (Schubert-Suffrian und Regner, 2014).
In Ergänzung zu diesem alltäglichen Umgang mit Beschwerden sollten ritualisierte, an eine bestimmte Zeit und an einen festen Ort gebundene Beschwerdemöglichkeiten vorhanden sein. Hierzu können zum Beispiel der Morgenkreis, eine regelmäßig stattfindende Gruppen- oder Kinderversammlung, die Wahl von Kindersprecherinnen und -sprechern, Beteiligungsprojekte mit den Kindern (z.B. zur Planung des Außengeländes oder zur Ausarbeitung von Kita-Regeln bzw. einer Kita-Verfassung), ein Anregungs- und Beschwerdebriefkasten, ausgewiesene Sprechzeiten der Kita-Leitung usw. gehören.
Diese stärker formalisierten Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren sollten sich dadurch auszeichnen, dass sie allen Kindern bekannt sind (Information und Transparenz), auftretende Beschwerden zuverlässig bearbeitet werden (Verlässlichkeit und Verbindlichkeit) und in jedem Fall eine zeitnahe Reaktion erfolgt. Dies gilt auch für die Fälle, in denen die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder aus unterschiedlichen Gründen nicht zu einer Veränderung führen kann (Promptheit und Responsivität).
Respekt vor der Rolle und den Fähigkeiten der Eltern
Wer Eltern für die Rechte ihrer Kinder gewinnen will, muss zunächst die hervorgehobene Rolle von Müttern und Vätern respektieren. Auch hier gibt die UN-Kinderrechtskonvention Auskunft. Gemäß Artikel 18 Absatz 1 sind „für die Entwicklung und Erziehung des Kindes in erster Linie die Eltern […] verantwortlich. Dabei ist das Wohl des Kindes ihr Grundanliegen.“ In den meisten Fällen wissen die Eltern aufgrund gewachsener Bindungen und weil ihnen ihre Kinder so sehr am Herzen liegen, am besten, was dem Wohl des Kindes entspricht. Die staatliche Verantwortung für Kinder ist nachrangig, auch wenn der Staat die Eltern bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen muss, zum Beispiel durch die Bereitstellung guter Kitas. Erst wenn im Einzelfall das Wohl eines Kindes gefährdet ist, darf und muss der Staat in Elternrechte eingreifen.
Wenn Eltern spüren, dass ihre vorrangige Stellung dem Kind gegenüber respektiert wird, auch wenn Fachkräfte nicht mit allen ihren Entscheidungen einverstanden sind, dann sind sie auch eher bereit, sich für die Rechte ihrer Kinder einzusetzen. Denn das Wohl des Kindes muss auch bei elterlichem Handeln und Unterlassen der zentrale Bezugspunkt sein. Rollenklarheit zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften ist eine wichtige Voraussetzung für die Öffnung der Eltern mit Blick auf die Kinderrechte.
Eltern für Kinderrechte gewinnen
Zu den Aufgaben der pädagogischen Fachkräfte gehört es, die Eltern über Kinderrechte zu informieren und sie dafür zu sensibilisieren. Zu diesem Zweck ist zu empfehlen, nicht einen bestimmten Anlass wie zum Beispiel eine deutliche Kinderrechtsverletzung abzuwarten, sondern einen Elternabend dafür zu nutzen.
Als Einstieg ist es sinnvoll darauf hinzuweisen, dass jeder Mensch Rechte hat und dass die grundlegenden Menschenrechte auch für Kinder Gültigkeit besitzen. Um die Beteiligten für das Thema Kinderrechte zu öffnen, kann es hilfreich sein, anschließend in geschützten kleinen Gruppen zum Beispiel die folgenden Fragen zu erörtern: Welches Kinderrecht ist Ihnen besonders wichtig? Kam es vor, dass in Ihrer eigenen Kindheit bestimmte Rechte nicht beachtet wurden? Haben Sie selbst schon einmal das Recht eines Kindes nicht einhalten können? Ergänzend können sogenannte Themenkarten Kinderrechte (Maywald, 2017) eingesetzt werden, anhand derer sich die Eltern mit der Bedeutung von Kinderrechten befassen.
In einem nächsten Schritt wird das „Gebäude der Kinderrechte“ (Maywald, 2016) vorgestellt, zum Beispiel anhand einer Grafik auf einem Flipchart. Die Teilnehmenden werden gebeten, die ihnen bekannten Kinderrechte nach Schutzrechten, Förderrechten und Beteiligungsrechten zu unterscheiden. Den Abschluss einer solchen Information sollte die Diskussion eines anonymisierten Fallbeispiels bilden, in dem es um eine (mögliche) Kinderrechtsverletzung geht. Dabei ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass in den meisten Fällen unterschiedliche Rechte betroffen sind (bei einem Konflikt über wettergerechte Kleidung beispielsweise das Recht des Kindes auf bestmögliche Gesundheitsfürsorge und das Recht auf altersgemäße Beteiligung), die im besten Interesse des Kindes abgewogen werden müssen.
Beteiligungskultur auf allen Ebenen
Die Orientierung an den Kinderrechten und die Etablierung eines funktionierenden Beschwerdemanagements sind wichtige Instrumente einer umfassenden Beteiligungskultur. Kinder nehmen üblicherweise sensibel wahr, inwiefern nicht nur sie selbst, sondern alle in der Kita – von den Mitgliedern des pädagogischen Teams über die hauswirtschaftlichen Kräfte bis hin zu den Eltern – sich einbringen können und an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt sind. Partizipation ist unteilbar und schließt jede und jeden ein. Eine funktionierende Beteiligungskultur ist daher ein wichtiger Beitrag zur Wahrung der Rechte aller am Geschehen in der Kita Beteiligten.
Literatur
Maywald, J. (2016): Kinderrechte in der Kita. Kinder schützen, fördern, beteiligen. Freiburg: Herder.
Maywald, J. (2017): Kinderrechte. Themenkarten für Teamarbeit, Elternabende, Seminare. München: Don Bosco.
Schubert-Suffrian, F./Regner, M. (2014): Beschwerdeverfahren für Kinder. kindergarten heute. praxis kompakt. Freiburg: Herder.
Ergänzende Arbeitshilfen
Checkliste: Schritte zur Beschwerdebearbeitung
Falls es in Ihrer Kita zu einer Beschwerde kommen sollte, müssen Sie wissen, wie vorgegangen werden sollte. Diese Checkliste zeigt Ihnen die verschiedenen Schritte zur organisatorischen Bearbeitung und Klärung einer Beschwerde. Dokument herunterladen