
Was IQ-Tests aussagen – und was nicht

Tests zur Messung der Intelligenz enthalten eine Reihe von immer schwieriger werdenden Denkaufgaben, die meist sprachliche, visuell-räumliche und logisch-mathematische Fähigkeiten messen. Mit Intelligenztests wird ein IQ-Wert ermittelt, der die Position des Individuums zu einer Bezugsgruppe (meist Altersgruppe) angibt. Er gibt also die individuelle Leistung eines Kindes im Intelligenztest im Vergleich zu Gleichaltrigen an. Der IQ ist immer ein relatives Vergleichsmaß. Der Mittelwert wird auf 100 IQ-Punkte gesetzt. Rund 68 % der Menschen erreichen einen durchschnittlichen IQ von 85 bis 115 Punkten (Standardabweichung 15). Als überdurchschnittlich intelligent werden 14 % der Testpersonen bezeichnet. Ihr Wert liegt zwischen 115 und 130 Punkten. Die Bezeichnung ‚weit überdurchschnittlich intelligent’ erhalten nur noch 2 bis 3 % der Testpersonen, die einen IQ-Wert von 130 oder mehr erzielen. Diese Menschen werden oft als hochbegabt bezeichnet. Jede Messung beinhaltet jedoch eine gewisse Messungenauigkeit, weshalb keine exakte Punktzahl für eine Person angegeben werden kann. Es sollte immer ein Bereich angegeben werden (Vertrauensintervall), in dem sich der IQ einer Person mit einer gewählten Wahrscheinlichkeit befindet.
Die IQ-Grenzwertdefinition für Hochbegabung ist eine quantitative Definition (Höhe des IQ-Wertes). Bisher konnten in der kognitiven Leistungsfähigkeit von durchschnittlich und weit überdurchschnittlich Intelligenten keine qualitativen Unterschiede (z.B. im vernetzten oder ganzheitlichen Denken) nachgewiesen werden. Es ist also eine Konvention der Vertreterinnen und Vertreter des psychometrischen Ansatzes, die Grenze für Hochbegabung bei einem IQ von 130 anzusetzen, also diejenigen 2 bis 3 % der Kinder auszuwählen, die in Intelligenztests im Vergleich zu Gleichaltrigen am höchsten abschneiden.
Statistische Auswertungen von Ergebnissen in Intelligenztests haben auch gezeigt, dass gewisse Untertests zusammenhängen (korrelieren), also gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen. Daraus ergeben sich zusammengesetzte Fähigkeitsbereiche wie Sprachverständnis, logisches Denken, visuelles Wahrnehmungsvermögen, Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit, welche der Intelligenz zugrundeliegende Denkprozesse messen.
Intelligenztests werden zur Beantwortung einer spezifischen Fragestellung von qualifizierten Psychologen/innen durchgeführt. Es sollen beispielsweise Fragen im Zusammenhang mit Schulproblemen oder mit Entscheidungen für die Schullaufbahn beantwortet werden (frühe Einschulung, Klassenüberspringen, Identifikation für Hochbegabtenprogramm). Bei der Auswertung von Intelligenztests können differenzierte Aussagen zu den Ergebnissen von zusammengesetzten Teilbereichen sehr wichtig sein. Mit diesen Teilbereichen können individuelle Fähigkeitsprofile erstellt werden, die zur Planung individueller Fördermaßnahmen verwendet werden. Dabei ist eine ressourcenorientierte Förderung wichtig. Begabungen sollen gestärkt, Schwächen gemildert werden. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn eine Testperson in verschiedenen Teilbereichen unterschiedliche Ergebnisse erzielt. Große Unterschiede zwischen Bereichen, die kognitive Fähigkeiten messen, sind jedoch selten, außer bei Teilleistungsschwächen wie Lese-Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche. Werden in einem individuellen Profil auch nicht-kognitive Fähigkeiten wie Motorik oder Sozialverhalten berücksichtigt, können größere intrapersonale Diskrepanzen ermittelt werden (z.B. Defizite im Sozialverhalten aufgrund von Entwicklungsstörungen wie dem Asperger-Syndrom oder Autismus). Intellektuell begabte Kinder mit Lernschwächen oder Entwicklungsstörungen werden oft als ‚twice-exceptional’ bezeichnet (Lupart/Toy, 2009). Diskrepanzen zwischen dem am weitesten entwickelten (individuelle Stärke) und dem am wenigsten weit entwickelten Fähigkeitsbereich (individuelle Schwäche) betragen meist zwei bis drei Jahre. Im Extremfall kann eine intrapersonale Diskrepanz fast 10 Jahre erreichen (Jenni et al. 2011, S. 209). Beispielsweise wies ein fünfeinhalbjähriger Knabe bei einer Untersuchung sprachliche Kompetenzen eines durchschnittlichen Dreizehnjährigen auf, seine fein- und grobmotorische Ungeschicklichkeit entsprach der motorischen Entwicklung von durchschnittlich Vierjährigen. Für Kinder mit großen intrapersonalen Diskrepanzen und ihr Umfeld ist es schwierig zu verstehen, weshalb gewisse Tätigkeiten so leicht fallen und andere kaum zu meistern sind, wenn ihnen diese Entwicklungsunterschiede nicht bewusst sind.
Literatur
Lupart, J.L./Toy, R.E. (2009). Twice exceptional: multiple pathways to success. In: L.V. Shavinina, International handbook on giftedness (pp. 507 – 525).
Ergänzende Arbeitshilfen
Übersicht: Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten
Diese Arbeitshilfe gibt Ihnen eine Übersicht der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten von 0 – 12 Jahre. Dokument herunterladen